Die Powerfrau hat ausgedient

… so lautete meine These auf dem Breaking-Barriers Podium des 18. ProfilPASS-Beratendentags in Berlin. Ich sprach über die unerwartete Wirkung, die der “ProfilPASS für Frauen” auf mich hatte.

Sie liegt schon einige Jahre hinter mir, die sogenannte Familienphase, aber die Beschäftigung mit dem ProfilPASS für Frauen hat mich nochmal sehr nachdenklich gemacht.

Die Arbeit mit dem ProfilPASS hatte mich quasi gezwungen, mich mit den Herausforderungen und Potenzialen von Frauen auseinanderzusetzten, die aus sozialen, gesellschaftlichen, familiären, kulturellen oder sonstigen Gründen Schwierigkeiten haben, im Erwerbsleben Fuß zu fassen.

Der ProfilPASS für Frauen zielt darauf ab, Frauen zu ermächtigen und ihre Kompetenzen zu erkennen, die sie neben der Schule und helfenden Tätigkeiten insbesondere durch Care-Arbeit, Familie, Haushalt und Selbstfürsorge entwickelt haben.

Ich coache seit über 25 Jahren Frauen und Männer ziemlich erfolgreich, bei ihrer beruflichen Orientierung. Warum war ausgerechnet die Arbeit mit dem ProfilPASS für Frauen plötzlich eine echte Herausforderung für mich?

In manchen Beratungen spürte ich eine Art Unbehaglichkeit, durch die Beschäftigung mit ihren Tätigkeitsfeldern. Meine vielgepriesene Neutralität wurde durch eine laute innere Stimme gestört: “Mein Gott, stellt die sich an! Das ist ja schnullifax!” Oft hatte ich das Gefühl, ich müsse mich innerlich stark distanzieren.

Nach der Beratung erfüllte mich eine Traurigkeit, die mich nachdenklich machte.

Es lag auf der Hand, dass dies eng mit meiner eigenen Biografie als alleinerziehende Mutter und stets hart arbeitende Frau verbunden war. Er schmeckte bitter, der Preis, den ich für meine Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit bezahlen musste, denn meine Option war das “Durchpowern, immer wieder an gläserne Decken stoßen und trotzdem Weitermachen, Geld verdienen, kein Unterhalt, kein Bürgergeld, keine Großeltern, eigene Wünsche und die der Kinder erfüllen, permanent Organisieren und Lösungen finden, etc., etc.”.

Das war eine Lebensphase, die mich abgehärtet hat. Ich war eine echte Powerfrau, obwohl ich diesen Begriff nie mochte.

Meine Auseinandersetzung mit den aktuellen Lebenswelten von Frauen und die Arbeit mit dem ProfilPASS haben mir gezeigt, dass das Modell “Powerfrau” längst überholt ist.

Statt einer einseitigen Betonung von Stärke und Unabhängigkeit werden heute die Vielschichtigkeit und Individualität von Frauen wertgeschätzt .

Weichheit, Mitgefühl und Selbstfürsorge werden gesellschaftlich mehr und mehr anerkannt und dadurch mehr Spielräume für individuelle Lebensgestaltung geschaffen.

Die Fortschritte in Richtung Gleichstellung und Selbstbestimmung, wie das Recht auf Kitaplätze, die Möglichkeit zur Elternzeit für Frauen und Männer und die Förderung von gleichen Gehältern, sind wichtige Schritte, die zeigen, dass die Gesellschaft begonnen hat, Frauen ernst zu nehmen. Auch wenn es noch viel zu tun gibt, um volle Gleichstellung zu erreichen.

Die Arbeit mit dem ProfilPASS für Frauen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Für unsere Klientinnen und für uns Coaches, die evtl. wie ich, angeregt werden, wieder Weichheit in ihr eigenes Leben zu lassen.

Durch die Anerkennung und Unterstützung dieser Vielfalt können wir eine Welt schaffen, in der alle Frauen die Freiheit haben, ihr volles Potenzial zu entfalten und ein erfülltes Leben zu führen.

Hanna Sostak, 27.04.2024

 

Die Powerfrau hat ausgedient