Heute habe ich lange geschlafen und wurde kurz nach 8:00 Uhr von meinem Telefon geweckt. Eine ehemalige Klientin war am Apparat. Obwohl ich versuchte, professionell zu klingen, bemerkte sie, dass ich noch nicht so richtig wach war. Sie entschuldigte sich und sagte, dass sie an mich dachte und die Zeit nutzen wollte, solange ihre Mitarbeiter:innen noch nicht im Büro waren.
“Wie geht es Ihnen?” fragte ich. “Richtig gut, Frau Sostak, ich fühle mich hier richtig gut angekommen. Das hätte ich mir vor einem Jahr nicht träumen lassen.”
Vor etwas mehr als einem Jahr hatte ihr Therapeut ihr ein Coaching zur beruflichen Neuorientierung empfohlen. So kam sie zu mir. Die 54-jährige hatte gerade eine schwierige Zeit hinter sich. Hier kurz ihre Geschichte:
Sie war seit ihrer Ausbildung zur Bürokauffrau im selben Technik-Unternehmen beschäftigt. Ihr Arbeitgeber schätzte an ihr, dass sie immer zuverlässig und loyal war und man sie in fast allen Bereichen einsetzen konnte, wo “Not am Mann oder an der Frau” war.
Als ihr Mann sie verlassen hatte und sie alleinerziehend war, erzählte sie das niemandem. Stattdessen besuchte sie von nun an eine Fortbildung nach der anderen, um beruflich in eine höhere Gehaltsgruppe aufzusteigen. Unter anderem absolvierte sie ein Fernstudium in BWL.
Als das Unternehmen rote Zahlen schrieb und Mitarbeiter:innen entlassen wurden, übernahm Frau R. extrem viele Aufgaben und Verantwortungen. Überstunden waren normal.
2018 erlitt sie die erste Erschöpfungsdepression mit Klinikaufenthalt. Als sie ein paar Wochen später die Arbeit wieder aufnahm, hatte sie Schwierigkeiten, den Anforderungen ihres Arbeitsumfelds gerecht zu werden. Ihr wurde eine, aus ihrer Sicht, degradierende Aufgabe gegeben. 2021 kam die Krankheit zum zweiten Mal. Diesmal noch schlimmer.
Ich lernte Frau R. als wache und entwickelte Persönlichkeit kennen. Eine Frau, die sich selbst gut kennt und genau weiß, was sie NICHT MEHR WILL.
Ihr Ziel: Eine Arbeit finden, in der sie sich einbringen kann, keine oder wenig Überstunden machen muss und mit einem netten Team zusammenarbeiten kann. Wann: Im Juli 2023
Wir starteten mit der ProfilPASS-Beratung, einer Methode zur Ermittlung von (informell erworbenen) Kompetenzen. Dabei zeigten sich u.a. Kompetenzen im Projekt- und Personalmanagement und als Führungskraft. Auffällig war, dass Frau R. enormes Wissen über Psychologie, Prävention, Arbeitsgesundheit und Mental Health durch ihre persönlichen Herausforderungen erworben hatte. Frau R. sagte, dass es sich dabei um ihre “Herzensthemen” handele und dass sie am liebsten Menschen zu diesen Themen beraten würde.
Nach dem Motto “Think Big!” erarbeiteten wir das neue Profil von Frau R. und sahen uns nach möglichen Stellen um. Frau R. erhielt viele Einladungen zu Vorstellungsgesprächen und am Ende hatte sie die Qual der Wahl.
Am 3. Juli 2023 hatte Frau R. ihren ersten Arbeitstag beim Landratsamt im Fachbereich Gesundheit.
Begeistert erzählte sie mir, wie spannend sie ihre neuen Aufgaben findet. Die Arbeitszeiten sind ideal, und das Team, in dem sie die Teamleitung hat, arbeitet toll zusammen. “Ich bin richtig gut angekommen”, sagte sie.